Folge: 1266 | 1. April 2024 | Sender: Radio Bremen | Regie: Leah Striker
So war der Tatort:
Grün.
Doch ist das nicht politisch gemeint: Nahezu jede Einstellung in diesem Bremer Tatort beinhaltet einen grünen Gegenstand, ein grünes Kleidungsstück oder eine grüne Kulisse. Was natürlich auch daran liegt, dass Angst im Dunkeln zu großen Teilen im Wald spielt – nachdem uns zwei Wochen zuvor bereits der mittelprächtige Münster-Tatort Unter Gärtnern in eine schräge Kleingartenkolonie und einen Sonntag danach der zähe Polizeiruf 110 „Schweine“ in ein sumpfiges Jagdgebiet im deutsch-polnischen Grenzgebiet entführten.
Wald und Wiesen sind im Frühjahr 2024 Trumpf, während der Bremer Tatort mit seinen umstrittenen Ermittlerinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) eine Trumpfkarte nicht ausspielt: Der dänische Kollege Mads Andersen (Dar Salim) ist in diesem Krimi erneut nicht dabei, nachdem er bereits im Vor-Vorgänger Liebeswut fehlte und im Vorgänger Donuts nur kurz per Videocall zugeschaltet war. Andersen weilt bei Europol. Der wahre Grund für Dar Salims Abstinenz ist, dass der Schauspieler in internationalen Produktionen für Kino und Streaming mittlerweile zu gefragt ist und schlichtweg keine Zeit mehr für eine deutsche Krimireihe findet (weitere Informationen).
Zeit für einen Tag und eine Nacht in der Natur nehmen sich dafür drei Mütter, die ihre Kinder einem Dropping aussetzen und dieses Szenario vorab selbst auf Herz und Nieren prüfen wollen: Ayla Ömer (Pegah Ferydoni, Die harte Kern), Viola Klemm (Sophie Lutz, Saras Geständnis) und Marlene Seifert (Inez Bjørg David, Schwerelos) lassen sich von ihrem Nachwuchs mit verbundenen Augen im Wald aussetzen und sollen von dort – angeblich nur mit Kompass und Karte statt Smartphones bewaffnet – wieder nach Hause finden. Das geht allerdings schief: Marlene liegt am nächsten Morgen tot im Unterholz, während Ayla und Viola dehydriert vom Kripobeamten Simon (Patrick Isermeyer, Katz und Maus) und dessen Kollegen aufgelesen werden.
SIMON:Die Eltern wollten angeblich selbst testen, ob das wirklich sicher ist, bevor sie ihre Kinder hier rausschicken.MOORMANN:Hm. Ja, das hat dann wohl nicht so gut geklappt, ne.
Was den 1266. Tatort von Drehbuchautorin Kirsten Peters und Regisseurin Leah Striker, die auf diesen Positionen ihr Debüt für die Krimireihe geben, von Beginn an zu einer ziemlich anstrengenden Angelegenheit macht, sind eben diese drei weiblichen Figuren. Ayla, Viola und Marlene verhalten sich bei ihrer Odyssee durchs Waldgebiet dermaßen naiv, dass sie bei der populären YouTube-Challenge „7 vs. Wild“ wohl schon nach Stunden die Reißleine gezogen hätten. Statt Wasser haben die drei Alkohol dabei, statt Regenwasser trinken sie aus Tümpeln. Und statt einfach konsequent den Waldwegen zu folgen, stolpern die Drei planlos durchs Dickicht.
Freundinnen oder gar Sympathieträgerinnen sind die drei Mütter, die mit Blick auf das fortgeschrittene Teenager-Alter ihrer Kinder allesamt ein wenig jung besetzt wurden, leider auch nicht: Klaus Seifert (Henning Baum, Feuerkämpfer) weint seiner verstorbenen Gattin, die in Bremen das Denkmalamt leitete, keine Träne nach und gerät mit Emre Ömer (Özgür Karadeniz, Der böse König) aneinander, dem er dessen Frau Ayla ausspannen wollte. Architekt Mirko Klemm (Matthias Lier, Aus dem Dunkel) hatte sich auch schon vor dem Dropping von Viola getrennt und scheint auch nicht sonderlich interessiert daran, Marlenes Mörder zu finden.
Aus Angst im Dunkeln hätte mit konsequenter(er) Zuspitzung auf das Geschehen im Wald dennoch ein Survivalthriller mit Blair-Witch-Project-Atmosphäre werden können – die Filmemacherinnen stehen aber vor dem Dilemma, dass ihr Film ja unter Tatort-Flagge segelt und die kriminalistische Arbeit entsprechend Raum erhalten muss. So laufen zwei Handlungsstränge parallel: die Befragungen im Umfeld der Frauen in Bremen-Schwachhausen und die Dropping-Challenge im Wald, die mit seltsam reißerischen Einblendungen à la „36 STUNDEN VOR MARLENES TOD“ in recht beliebige Kapitel unterteilt wird. Das wirkt spätestens lächerlich, wenn das sogar noch 20 Sekunden vor dem Mord eingeblendet wird. Und ist es wirklich wichtig, ob Marlene noch 32 oder 34 Stunden zu leben hat?
Kurzweilig ist der fünfte Tatort mit Moormann („Scheiß Wald“) und Selb („Scheiß Schwachhausen“) dennoch, zumal er als Whodunit hervorragend funktioniert: Im letzten Filmdrittel kristallisiert sich heraus, dass die Mütter keineswegs so alleine im Wald waren, wie es zunächst den Anschein hat. Neben ihren vier Kindern Lily Seifert (Lucy Gartner) und Deniz Ömer (Joel Akgün) sowie Anselm (Carl Bagnar) und Imogen Klemm (Marie Becker) treibt sich auch der undurchsichtige Einsiedler Werner Behrens (Alexander Wüst, Zorn Gottes) zwischen Baum und Borke herum. Den Täterkreis erweitert das erheblich und auch der Tathergang selbst bietet viel Spielraum für verschiedene Auflösungen (die richtige erläutern wir → hier).
Darüber hinaus ist Angst im Dunkeln noch aus einem anderen Grund sehenswert: Lernten wir in Donuts Moormanns Familie und umtriebige Halbschwester Marie (Luisa Böse, in Driving home for Christmas erneut mit dabei) kennen, besuchen die Ermittlerinnen diesmal Selbs Tante Johanna (Claudia Geisler-Bading, Familien), die direkt die Fotoalben zückt und Anekdoten aus der Kindheit der egozentrischen Tiny-House-Bewohnerin erzählt. Linda Selb, die auch in diesem Tatort mit markanten One-Linern Sympathiepunkte einsammelt, passt das natürlich gar nicht – und auch mit ihrer vorübergehenden Heimat Schwachhausen hat sie mittlerweile abgeschlossen.
SELB:Die Leute hier sind selbst zum Morden zu spießig.
Bewertung: 5/10
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