Folge: 1267 | 7. April 2024 | Sender: BR | Regie: Christoph Stark
So war der Tatort:
Sadistisch.
Denn die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die bei ihrem sechstletzten Einsatz wie gewohnt von Oberkommissar Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) unterstützt werden, bekommen es in Schau mich an mit einem besonders perfiden Serienmörder und Tierquäler zu tun: Der Gesuchte orientiert sich bei seinen Taten an Jeffrey Dahmer und Luka Rocco Magnotta, deren abscheuliche Morde bereits der herausragenden Netflix-Serie Dahmer und der dreiteiligen Netflix-Doku Don’t F**k with Cats ls Vorlage dienten.
Dabei erhält das Münchner Ermittlertrio, das einleitend in einem Abwasserkanal vor dem um Kopf und Hände beraubten Torso einer chinesischen Musikerin steht, doppelte Unterstützung: Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), der dem online mit seinen Taten prahlenden Kriminellen bereits in Österreich auf der Spur war und uns bestens aus dem Wiener Tatort bekannt ist, wird nach acht Minuten für einen Videocall zugeschaltet – ein unaufgeregter, aber nostalgischer Moment, der Erinnerungen an die vielen Gastspiele von Tatort-Kriminalisten in den Anfangsjahrzehnten der Krimireihe weckt. Früher waren solche Begegnungen nämlich gang und gäbe (vgl. etwa Salü Palu).
Und da ist eine zweite Person, der besonders der frisch von einer Fortbildung zurückgekehrte Kalli Hammermann seltsam unterwürfig begegnet: Die Suchtberaterin Lisa Berger (stark: Aenne Schwarz, Leben Tod Ekstase) gibt ihren männlichen Kollegen beim Profiling Starthilfe. Was die Online-Community mag und was sie nicht mag, weiß Paulsen sehr kompetent zu berichten, denn ihre Erfahrungen decken sich exakt mit dem, was auch nach und während der TV-Premiere dieser Tatort-Folge in den Kommentarspalten steht: Mord an Menschen liebt das ARD-Publikum, sobald aber ein Tier stirbt, hört der Spaß auf.
BERGER:Eines dürfen Sie nicht machen: Tiere quälen oder töten. Das nimmt Ihnen die Community wirklich übel.
Der Krimi verläuft zunächst sehr geradlinig, ist zugleich aber ein sehr heftiger. Aufnahmen der sadistischen Taten werden mit Schaudermiene gesichtet, Spuren analysiert und Zeugen befragt. Für zartbesaitete Zuschauer gilt es einige Schockmomente zu überstehen: Wer nicht aushalten kann, dass ein Hund vor laufender Kamera in einer Plastiktüte erstickt oder mit Benzin übergossen wird, hat mit diesem Tatort garantiert keine Freude. Nicht von ungefähr erscheint – anders als üblich – nicht erst beim Abspann, sondern schon in der Titelsequenz der Hinweis, dass bei den Dreharbeiten keine Tiere zu Schaden kamen. Der Film ist an der Grenze des Zumutbaren, die FSK12-Freigabe diskutabel.
Kontrastiert werden die Schreckensbilder, die explizite Details aussparen, mit sympathisch-seichten Momenten, in denen Leitmayr & Co. sich um Hackl-Dackel Luki kümmern. Und es gibt es ein Wiedersehen mit einer weiteren Figur aus Hackl: Fitnesstrainer Kenny (Joshua Kimmich) gibt Kalli wieder über Online-Tutorials Fitnesstipps – ein neuer Running Gag der Münchner Folgen und zugleich einer der humorvollsten Momente des Krimis.
Mit dem Trittbrettfahrer Paul (Emil Vorbrugg) und seiner besorgten Mutter Erika Reiser (Katja Bürkle, Du allein) zündet Regisseur und Drehbuchautor Christoph Stark (Tyrannenmord) in der ersten Filmhälfte zudem eine zwar durchschaubare, aber reizvolle Nebelkerze; weckt sie doch Erinnerungen an reale Schreckenstaten wie den Amoklauf von Winnenden oder das Columbine-Massaker. Der Handlungsstrang wirkt unterm Strich jedoch etwas dünn, erfahren wir doch so gut wie nichts über das Wesen des jungen Mannes. Was treibt ihn an?
Warum dieser Drehbuchpfad ins Leere läuft, erklärt sich nach einer Dreiviertelstunde – dann nämlich schubst ein unerwarteter, toller Twist die 1267. Ausgabe der Krimireihe plötzlich in eine andere Richtung. Ähnlich wie im starken Kölner Tatort Reiz des Bösen von 2021, in dem die Täterfrage (anders als hier) lange offen bleibt, wird Hybristophilie zur Antriebsfeder der Geschichte und aus der Identität des Mörders und Tierquälers kein Geheimnis mehr gemacht. Stattdessen entwickelt sich der 95. Tatort mit Batic und Leitmayr zum temporeichen und mitreißenden Entführungsthriller, bei dem die beiden einen Mann aus den Händen von Kriminellen befreien müssen, dem sie am Ende sogar das „Du“ anbieten: Kalli Hammermann.
Dass bei dessen Kidnapping, bei dem wir angesichts der bereits geschehenen Taten ernsthaft um sein Leben fürchten müssen, kleinere Logiklöcher klaffen, man den Entführern schnell auf die Schliche kommt und nicht jeder Handlungskniff glaubwürdig ist, ist angesichts des hohen Unterhaltungswerts und der steilen Spannungskurve zu verschmerzen. Auch die Charakterzeichnung gestaltet sich hier präziser als bei Trittbrettfahrer Paul und beschert uns unter anderem einen weiteren „Taxi Driver“-Moment, der in ähnlicher Form auch ein halbes Jahr zuvor im Münster-Tatort Der Mann, der in den Dschungel fiel platziert wurde. You talking to me?
Bewertung: 7/10
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