Folge 1271
20. Mai 2024
Sender: SWR
Regie: Stefan Krohmer
Drehbuch: Stefanie Veith
So war der Tatort:
Überschaubar.
Denn so wie Ausflügler vom titelgebenden Freiburger Hausberg Schauinsland einen herrlichen Ausblick auf die Natur des Breisgaus genießen, so ist auch dieser nach klassischem Konzept ablaufende Schwarzwald-Tatort sehr übersichtlich arrangiert. Dem Unterhaltungswert der zwölften Tatort-Folge mit den Hauptkommissaren Franziska Tobler (Eva Löblau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) tut das keinen Abbruch: Letzter Ausflug Schauinsland ist eindeutig einer der besseren Fälle der beiden (unerreicht bleibt freilich der grandiose Mindfuck Damian, der leider große Teile des Publikums überforderte).
Der Krimi beginnt bereits denkbar klassisch: Im Kofferraum ihres Wagens wird die Psychologin Lisa Schieblon erdrosselt aufgefunden – und neben ihrem Ehemann Christian (David Rott, Das Gespenst), der ebenfalls als Psychologe tätig ist und eine offene Beziehung mit seiner Gattin führte, geraten auch mehrere Personen aus dem beruflichen Umfeld der Toten unter mehr oder weniger dringenden Tatverdacht. Doch dieses Umfeld ist diesmal ein Besonderes, denn Schieblon war als psychiatrische Gutachterin in einer forensischen Klinik tätig – im Volksmund gerne „Klapse“ genannt.
Drehbuchautorin Stefanie Veith (Katz und Maus) und Regisseur Stefan Krohmer (Die Rache an der Welt) entführen uns im 1271. Tatort in eine reizvolle, nur selten von innen zu erlebende Welt, wie wir sie etwa aus dem Jack-Nicholson-Klassiker Einer flog übers Kuckucksnest kennen. Und sie spiegeln den umgangssprachlichen „Dachschaden“ der dort einsitzenden Patienten in einem privaten Dilemma des Kriminalisten: Berg hat einen Schaden am Dach seines Hofs zu beklagen und legt mit Toblers Unterstützung selbst Hand an, weil er keinen geeigneten Handwerker findet.
Der spannendere Teil der Geschichte spielt aber nicht in den gewohnt idyllisch eingefangenen Wäldern Südbadens, sondern in der Klinik. Die Ermordete hatte dort den inhaftierten Hansi Pagel (Rüdiger Klink, Der Turm) begutachtet. Er sitzt nach der Vergewaltigung seiner Ehefrau Andrea (Angelika Richter, spielte die Mutter der Bremer Ermittlerin Liv Moormann in Donuts) und Gewalt gegenüber seinen Kindern Isabelle (Lara Koller) und Leo (Anton Dreger, Unsichtbar) im Maßregelvollzug ein und hatte Freigang mit Schieblon genossen. Und bringt schon bei der ersten Befragung auf den Punkt, was es eigentlich heißt, sein Leben als Mensch mit einer Persönlichkeitsstörung in einer solchen Einrichtung verbringen zu müssen.
Der herrlich aufmüpfige, ausgeprägten Dialekt schwätzende Pagel („Owehuuhn is fättich!“) ist für lange Zeit nicht nur die interessanteste, sondern auch die ambivalenteste Figur dieses Krimis. Sein gutmütiges, aber aufbrausendes Auftreten und sein herzliches Verhältnis zu dem von Wahn- bzw. Waran-Vorstellungen geplagten Insassen Milan Vujicic (tolles Tatort-Debüt: Bekim Latifi) lässt uns schnell zweifeln, ob dieser Mann wirklich der schlimme Gewalttäter ist, den uns seine Ehefrau weismachen will. Leider nehmen die Filmemacher die Figur im Mittelteil für lange Zeit aus dem Spiel und rücken dafür die Mitarbeitenden der Klinik in den Blickpunkt der Ermittlungen.
Es offenbart sich schnell, dass hier ebenso viel im Argen liegt wie in Pagels Familie: Während Klinikleiter Dr. Thorsten Günnewig (Falilou Seck, Borowski und der Schatten des Mondes) seine Medikamentensucht nicht im Griff hat, deckt sein Verhalten ausgerechnet seine undurchsichtige Stellvertreterin, die Oberärztin Gisela Tausendleben (Ulrike Arnold, Einmal wirklich sterben). Mit dem toughen Pfleger Matthias Bremer (Christoph Glaubacker, Zeit der Frösche) gesellt sich eine weitere Figur zum Kreis der Verdächtigen, die etwas auf dem Kerbholz hat – die Täterfrage in diesem kniffligen Whodunit ist daher bei weitem nicht so leicht zu klären, wie es anfangs anmuten mag.
Ein wirklich mitreißendes Krimidrama ist der Pfingsttatort 2024, der zugleich der letzte neue Tatort vor der ungewohnt langen Sommerpause ist (weitere Informationen), unterm Strich dennoch nicht – dafür ist die erzählerische Gangart zu gemächlich, das Drehbuch zu formelhaft und die Ermittlungstechnik zu bieder. Da werden im Präsidium Flipcharts beschriftet und Landkarten studiert. Der gelungene Twist im Schlussviertel und die bittersüße Schlusspointe entschädigen aber für die Längen auf dem Weg zum Finale. Und die im Schwarzwald-Tatort zelebrierte Bodenständigkeit tut der um Experimente und Dramen schon lange nicht mehr verlegenen Krimireihe ja hin und wieder auch ganz gut.
Bewertung: 6/10
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