Folge 1296
16. März 2025
Sender: NDR
Regie: Lars Kraume
Drehbuch: Sascha Arango
So war der Tatort:
Nordisch-mythologisch.
Der letzte Kieler Tatort mit dem Fast-Ruheständler und Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg), der 2003 in Väter sein Debüt für die Krimireihe gab, spielt nämlich ähnlich wie der knapp drei Monate zuvor ausgestrahlte Schweizer Tatort Fährmann auf die griechische Mythologie an: Die Medusa ist darin nicht nur die Tochter der Meeresgottheiten Phorkys und Keto, sondern auch ein Ungeheuer mit Flügeln und Schlangenhaaren, deren bloßer Anblick jeden zu Stein erstarren lässt. Sie wird schließlich von Perseus enthauptet, der sich der Gefahr bewusst ist und ihr Antlitz nur indirekt über seinen verspiegelten Spezialschild anschaut.
In Borowski und das Haupt der Medusa findet diese mythologische Figur ihre Entsprechung in der sadistischen Elenor Frost (Corinna Kirchhoff, Wer zögert, ist tot): Sie lebt mit ihrem über 40-jährigen Sohn Robert (August Diehl) in einem großen Haus. Rund um die Uhr lässt sie sich von ihm bedienen und demütigt den ewigen, von Frauen nicht beachteten Junggesellen bei jeder Gelegenheit. Das bezahlt sie mit dem Leben: Als seine Mutter etwas an seiner Kochkunst auszusetzen hat, stranguliert Robert Frost seine Mutter hinterrücks mit einer Drahtschlinge, zersägt ihren Körper und versenkt ihren abgetrennten Kopf mit dem langen grauen Haar in seinem Aquarium. Wir werden einleitend zu Augenzeugen dieser brutalen Tat.
Dass wir um die Täterschaft wissen, kommt nicht von ungefähr: Das Drehbuch zum letzten Tatort mit Klaus Borowski, der erst spät von Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik), Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) und Rechtsmedizinerin Dr. Kroll (Anja Antonowicz) unterstützt wird, schrieb einmal mehr Sascha Arango (Man stirbt nur zweimal) – jener Autor also, der bereits hochkarätige Kieler Krimis wie Borowski in der Unterwelt, Borowski und das Mädchen im Moor oder Borowski und der stille Gast verantwortete. Der Verzicht auf das Whodunit-Prinzip ist typisch für ihn und tut der Spannung in diesem ebenso mitreißenden wie bizarren Ödipus-Tatort keinen Abbruch.
Um Borowski auf Frosts Spur zu bringen, bedarf es aber erheblicher Zufälle, die die Glaubwürdigkeit des Films empfindlich schmälern. Zufällig ist Borowski kurz nach der Tat im Bürgeramt des geschlauchten Behördenleiters Kaczmarek (Sascha Nathan, Murot und das Gesetz des Karma) und entdeckt zufällig am Arbeitsplatz des seit Wochen abwesenden Frost ein wichtiges Foto: Es zeigt dessen Haus, das Borowski schon als Jugendlicher unheimlich fand, wenn er zufällig daran vorbeiging. Weil zwei Kolleginnen von Frost und der herrlich schnippischen Sachbearbeiterin Uschi Schönlein (Klara Lange, Made in China) unter seltsamen Umständen verstorben sind, schöpft der Kommissar Verdacht und ermittelt fast eine halbe Stunde auf eigene Faust.
Borowski und das Haupt der Medusa, der beim Deutschen FernsehKrimi-Festival 2025 den FernsehKrimi-Preis gewann, ist ein würdiger Abschiedstatort für Axel Milberg – über einige arg konstruierte Handlungsschlenker (etwa die Montage eines Plakats an einem nahezu beliebigen Platz an einer Hauptstraße und die Folgen) müssen wir aber großzügig hinwegsehen. Wer das kann, darf sich an einer außergewöhnlichen Kreuzung aus klassischem Krimi, elektrisierendem Psychothriller und tiefschwarzer Komödie mit tollem Timing und köstlichen Kuriositäten (etwa beim Übersteigen eines Maschendrahtzauns) erfreuen. Eine Mischung, die wohl nur der Kieler Tatort so elegant und sympathisch hinbekommt – man denke nur an die ebenfalls von Arango konzipierten Folgen Borowski und der Engel oder Borowski und das Glück der Anderen.
August Diehl sticht in seinem ersten Tatort als Nägel kauender Mörder aus dem grandiosen Cast noch heraus – seine Figur, die sich in einer Zweitwohnung vor der Kripo versteckt, ist aber ein Klischee. Von Mitmenschen gemieden, von Frauen ignoriert, von der Mutter gepeinigt: Aus dem sozial inkompetenten Kerl, der natürlich erstklassige IT-Skills mitbringt, kann ja nur ein Mörder werden. Wir wohnen seinen Taten bei und genießen gegenüber den Kriminalisten einen großen Wissensvorsprung. Die Bühne gehört Borowski, aber sie gehört auch Frost – ein schnörkellos aufs Drama zusteuerndes Duell mit völlig offenem Ausgang. Die stark an den KI-Tatort Borowski und das ewige Meer erinnernden Cyberattacken hätte es da gar nicht gebraucht.
Aber da ist ja auch noch das Comeback einer Person, die den 1296. Tatort unter Regie von Lars Kraume (Schweigen) zu einer sehr nostalgischen Angelegenheit macht: Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert), die von 2003 bis 2009 an Borowskis Seite ermittelte und auch in Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes mit von der Partie war, gibt sich ein letztes Mal die Ehre. Ihr gehört der melancholische Schlussakkord, so dass sich Borowskis leiser Abschied wohltuend von den Abgängen vieler anderer Tatort-Figuren in der jüngeren Vergangenheit abhebt (vgl. etwa Was bleibt oder Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n).
Ein spektakulärer Abschied oder ein theatralischer Tod hätte auch nicht zu Borowski gepasst – dann schon eher etwas Unaufgeregtes, etwas Tiefschwarzes oder etwas sehr Rätselhaftes.
Bewertung: 8/10
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