Folge: 1248 | 29. Oktober 2023 | Sender: BR | Regie: Rudi Gaul
Königlich.
Denn die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) verschlägt es mit dem frisch zum Oberkommissar beförderten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) auf den 17. Königinnentag Gmeining – und dort geben sich die titelgebenden und aus allen Regionen Bayerns abgesandten „Produktköniginnen“ die Klinke in die Hand. Von A wie Apfelkönigin über K wie Karpfenkönigin bis hin zu Z wie Zwiebelkönigin ist auf dem Stelldichein karrierehungriger Schönheiten alles vertreten: Schärpen werden zurechtgezurrt, Frisuren drapiert und Autogrammkarten geschrieben.
Eine der bayrischen Damen könnte die Beinahe-Mörderin sein, die es zu identifizieren gilt: Der auf Bienenstiche allergische Präsident des Bavaria-Bundes, Josef Gehrling (Wolfgang Fierek, Totentanz), wurde von einem solchen Insekt gestochen und im angeschlagenen Zustand mit einem Bolzenschussgerät in die Bewusstlosigkeit, aber nicht ins Jenseits befördert. Sehr zum Leidwesen des ungeduldigen Rechtsmediziners Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl), der es kaum erwarten kann, die obligatorische Tatort-Leiche auf den Tisch zu bekommen – ein herrlicher Running Gag, von dem es in dem angenehm unverbrauchten Mikrokosmos Königinnentag einige weitere gibt.
Etwa den, dass Kalli reihenweise mit Schärpenträgerinnen schäkert, um sich danach schnippische Kommentare seiner Vorgesetzten anzuhören. Und auch der köstliche Dialogwitz zwischen Cinderella-Kenner Batic und Spät-ins-Bett-Geher Leitmayr darf nicht fehlen, wenn sich die beiden wohl oder übel ein Zimmer teilen müssen. Leitmayr betont, er schnarche in fremden Betten, Batic behauptet, er schlafe nackt. Nicht nur hier erinnert
Königinnen an
Wunder gibt es immer wieder von 2021, in dem sich die altgedienten Kommissare in einem ähnlich frauendominierten Kloster einquartierten und das Präsidium gar nicht zu Gesicht bekamen.
Die spaßigen Begegnungen dominieren die von Regisseur Rudi Gaul (
Videobeweis) angenehm leicht, aber etwas seicht arrangierte erste Hälfte eines Krimis, durch den (auch musikalisch) gehöriger
Eberhofer-Wind weht. Die Spannung köchelt auf Sparflamme, denn die Schwerpunkte liegen auf dem Lokalkolorit, dem Humor und der augenzwinkernden Studie des gar nicht so sehr von Neid und Missgunst geprägten Königinnenmilieus. Zwischenzeitlich droht sich Drehbuchautor
Robert Löhr allerdings kurz in einer Geschlechterdebatte zu verlieren – das ging zwei Monate zuvor bereits in der vielkritisierten Münchner Polizeiruf-110-Parodie „Little Boxes“ schief.
Gute Momente hat der 1248. Tatort aber, wenn Leitmayr, der als mitteleuropäischer (und ergrauter) Mittsechziger selbst in die Kategorie „alter weißer Mann“ fällt, sich von der feministischen Kemptener Honigkönigin Toni (Lilly Wiedemann) bei einer Befragung zum Verhalten des gegenüber Frauen übergriffigen Gehrling gnadenlos den Spiegel vorhalten lassen muss. Die Skandale um
Harvey Weinstein oder
Jeffrey Epstein lassen in den mehrfach eingeflochtenen Rückblicken grüßen – die Filmemacher tun dennoch gut daran, die
#MeToo-Debatte nicht überzustrapazieren.
LEITMAYR:
Ja gut, manches war ja vielleicht auch ganz harmlos. Der eine oder andere Spruch, den das Mädchen dann missverstanden hat, überinterpretiert hat.
TONI:
Sagt der Mann, der breitbeinig da hockt und erwachsene Frauen „Mädchen“ nennt.
LEITMAYR:
Ah. Ups.
Mit der von Wahl-Münchnerin Veronica Ferres gespielten Eventmanagerin Sylvia (Veronica Ferres,
Alles Palermo) gibt es zudem eine sehr zwiespältige Figur, die Ferres nach eigenen Angaben an die Epstein-Freundin
Ghislaine Maxwell anlehnte und die bei den Befragungen der Kommissare nicht nur um den Zeitgeist, sondern auch um die bittere Realität im Showbiz und die Naivität einiger Möchtegern-Sternchen weiß. Ihr subtil überzeichnetes Auftreten weckt Erinnerungen an Ferres‘ Tatort-Auftritt in
… und die Musi spielt dazu, der 1994 in der urbayrischen Volksmusikszene spielte. Apropos Zeitgeist: Natürlich darf mit der Spargelkönigin Luise (Phenix Kühnert) auch eine Transfrau in Reihen der Produktköniginnen nicht fehlen.
Dass man Batic und Leitmayr neben Kalli Hammermann bei den Ermittlungen auch die Nördlinger Zwiebelkönigin Annelie (Newcomerin Daria Vivien Wolf) zur Seite stellt, erschließt sich allerdings erst auf der Zielgeraden: Die angehende Bereitschaftspolizistin mit dem Zwiebel-Diadem besucht noch die Polizeischule, leistet sich schon bei der ersten Tatort-Untersuchung einen schlimmen Fauxpas und muss sich ihre Sympathiepunkte hart erarbeiten.
Der 93. Batic-und-Leitmayr-Tatort überzeugt dennoch als klassischer Whodunit und origineller Themenkrimi, verlässt die ausgetretenen Pfade des Genres aber nie. So bleibt der Film ausrechenbar – sieht man von der klugen, für Gelegenheitszuschauer sicherlich überraschenden und fast in Agatha-Christie-Manier vorgetragenen Auflösung der Täter(innen)frage einmal ab. Außerdem sei positiv erwähnt, dass am Schluss noch Zeit für einen pfiffigen Verweis auf den umstrittenen (und vom Autor dieser Zeilen sehr geliebten) Münchner Weihnachtstatort
Mord unter Misteln bleibt.
ANNELIE:
So viele neue Follower! Auch euch, klar. „Constable Partridge…“
BATIC:
Der Name war Kallis Idee.
Bewertung: 6/10
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