Folge: 1101 | 1. September 2019 | Sender: HR | Regie: Emily Atef
Bild: HR |
So war der Tatort:
Bei weitem nicht die gutbürgerliche Hausmannskost, die der Krimititel Falscher Hase zunächst vermuten lässt.
Der zehnte Fall der hessischen Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch), die nach dem einmaligen Ausflug nach Kassel wieder in Frankfurt ermitteln, ist vielmehr ein furioser Genre-Mix im herrlich hässlichen Retro-Gewand – und zugleich eine der ausgefallensten Tatort-Folgen des Jahres 2019.
Dass bei der nostalgieschwangeren Kreuzung aus klassischem Howcatchem, spaßiger Gaunerkomödie und tragikomischem Ehedrama laut gelacht werden darf, offenbart sich schon nach wenigen Sekunden: Der mittelständische Unternehmer Hajo Lohmann (Peter Trabner, auch bekannt als Rechtsmediziner Falko Lammert im Tatort aus Dresden) will mit seiner Frau Biggi (Katharina Marie Schubert, Anne und der Tod) eigentlich nur die Versicherung bescheißen, um seine Firma vor der Zahlungsunfähigkeit zu retten – doch schon im nächsten Augenblick hat Hajo eine Kugel im Bein und der Wachmann Jürgen Röhrig (Thorsten Merten, auch bekannt als Kripo-Chef Kurt Stich im Tatort aus Weimar) eine zwischen den Augen, weil Biggi ihn kurzerhand niederstreckt.
Anders als der Zuschauer werden die Kommissare einleitend nicht Zeuge von Motiv und Tat; Janneke und Brix müssen sich die Hintergründe erst mühsam zusammenreimen. Die Spur führt nicht nur zu den Lohmanns, sondern auch zum etwas einfach gestrickten Lagerleiter Uwe Ohlberger (Godehard Giese, Goldbach): Er ist seinen Vorgesetzten auf die Schliche gekommen und will mit seinem Kumpel „Sahni“ (Ronald Kukulies, Spieglein, Spieglein) selbst den großen Reibach machen. Obwohl er in seiner spartanisch eingerichteten Junggesellenbude ja eigentlich alles hat.
OHLBERGER:Einen vollen Kühlschrank, meinen Flugsimulator – ich bin zufrieden.
Regisseurin Emily Atef, die das Drehbuch zu ihrem eigenwilligen Tatort-Debüt gemeinsam mit Lars Hubrich (Damian) geschrieben hat, inszeniert eine erfrischende und stellenweise brüllend komische Krimikomödie, die dank der furiosen Wendungen und köstlichen Einfälle nie langweilig wird.
Denn so einfallslos der 1101. Tatort beim Blick auf die immerselben Namen auf der Besetzungsliste daherkommt (neben Schubert, Trabner und Merten gibt es auch ein Wiedersehen mit Ex-Kommissar Friedrich Mücke aus dem 2014 abgesetzten Tatort aus Erfurt), so originell und mutig sind das an den Coen-Klassiker Fargo angelehnte Drehbuch und die vielen schrägen Figuren, die man einfach ins Herz schließen muss: Während die Lohmanns als knuffige Parodie auf ein deutsches Vorzeige-Ehepaar gemeinsam durch dick und dünn gehen und dabei reihenweise Sympathiepunkte sammeln, hätte die Witwe Röhrig (Judith Engel, Wahre Liebe) den Tod ihres Gatten angesichts ihres tristen Ehelebens und der wenigen Zeit, die sie noch mit ihrem Ehemann verbracht hat, wohl vorerst gar nicht bemerkt.
Die grotesk-humorvolle Aufarbeitung des deutschen Spießbürgertums, die detailverliebte 80er-Jahre-Ästhetik und die potthässlichen Klamotten, in die man viele Darsteller gesteckt hat, sind allein schon das Einschalten wert – da fällt es nicht allzu negativ ins Gewicht, dass die Spannung zugunsten der Situationskomik auf Sparflamme köchelt und eine späte Videoanalyse der Kommissare der Dramaturgie gelegener kommt, als es der Logik gut tut.
Auch Schauspielerin Katharina Marie Schubert, die bei ihrem zweiten Tatort-Auftritt binnen vier Monaten erneut bravourös aufspielt, lässt mit ihrer mitreißenden Performance über kleinere Schwächen an anderer Stelle hinwegsehen – zu den kriminellen Brüdern Guy (Werner Daehn, Meta) und Rick Kremer (Friedrich Mücke), die in einem dubiosen Feinkostbetrieb Hehlerware verhökern, ist den Filmemachern nämlich nicht viel Originelles eingefallen und die sonst so zauberhafte Johanna Wokalek (Der tote Chinese) ist in ihrer flachen Nebenrolle als Gangstergattin Anouk verschenkt.
Immerhin fügt sich Wokaleks Figur aber stimmiger ins Ensemble ein als der seltsame Staatsanwalt Bachmann (Werner Wölbern, debütierte in Der Turm): Nachdem sich Ex-Kripo-Chef Fosco Cariddi (Bruno Cathomas) im Vorgänger Das Monster von Kassel verabschiedet hat, ist Bachmann offenbar sehr gewillt, in seine Fußstapfen als Fremdkörper im Krimi aus Frankfurt zu treten.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Nemesis“
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