Folge 1309
5. Oktober 2025
Sender: HR
Regie: Stefan Schaller
Drehbuch: Stefan Schaller, Senad Halilbasic, Erol Yesilkaya
So war der Tatort:
Tageslichtarm.
Große Teile der ersten Frankfurter Tatort-Folge nach dem spektakulären Explosiv-Abschied des Vorgängerduos Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) in Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n spielen nämlich – der Krimititel Dunkelheit deutet es an – in einem schmucklosen Keller des Präsidiums: Hier hat die aus Teheran stammende Maryam Azadi (Melika Foroutan) ihre berufliche Heimat gefunden. Seit dem Wechsel zweier Sachbearbeiter ist die Frau mit dem iranischen Nachnamen, der ins Deutsche übersetzt nicht zufällig „Freiheit“ bedeutet, beim Aufrollen von Cold Cases auf sich allein gestellt.
Nun erhält sie dabei Unterstützung: Der Hessische Rundfunk stellt ihr den gebürtigen Bosnier Hamza Kulina (Edin Hasanovic) zur Seite. Der ist zunächst wenig begeistert von der Idee, hat aber die interne Ermittlung am Hals, weil er womöglich den Beinahe-Tod eines Kollegen verschuldete. Seine strenge Vorgesetzte Sandra Schatz (Judith Engel, Falscher Hase) nutzt Kulinas Strafversetzung aus und instrumentalisiert ihn als Marionette in einer Privatfehde mit Azadi, die ihr gleich zweimal bei einer internen Bewerbung vorgezogen wurde. Kulina soll seine Kollegin überwachen und Beweise liefern, dass sie gegen Dienstvorschriften verstößt.
Wenngleich sich Azadi und Kulina, dessen Vorname auf Anregen von Edin Hasanovic an das Hanauer Anschlagsopfer Hamza Kurtovic angelehnt ist, prima verstehen, ist also für Konfliktpotenzial gesorgt. Und mit Cold Cases betritt das erste rein migrantische Tatort-Ermittlerduo im Tatort-Pendant zum skandinavischen Sonderdezernat Q wenig bestelltes Neuland, auf das sich bis dato nur einzelne Folgen der Reihe wagten (zuletzt etwa der Ludwigshafen-Tatort Der Stelzenmann, aber auch schon der Münchner Klassiker Der oide Depp von 2006).
Auch dem Privatleben der Frankfurter Cold-Case-Kriminalisten mangelt es nicht an Reizpunkten: Während Azadis Feierabend noch in der titelgebenden Dunkelheit bleibt, richten die Filmemacher den Scheinwerfer unter anderem auf das Massaker von Srebrenica. Kulina verlor dort seinen Bruder. Bis heute spricht er darüber nicht mit seiner traumatisierten Mutter Emina (Gordana Boban), in deren Wohnung die Vorhänge stets zugezogen sind. Ihre Mittagspausen verbringen Azadi und Kulina derweil am liebsten bei einem Teller Grah in einem bosnischen Café und halten sich schon mal augenzwinkernd den Vorurteilsspiegel vor.
Bei Debüts neuer Tatort-Teams müssen die Filmschaffenden stets eine Gratwanderung meistern: Zum einen wollen Figuren eingeführt und nachhaltig in den Köpfen des Publikums implantiert werden – zum anderen muss ein spannender Kriminalfall erzählt werden, um dem Format am Sonntagabend gerecht zu werden. Keine leichte Aufgabe, doch der HR setzt auf Autoren, die ihre Geschichte mit Regisseur Stefan Schaller (Das Opfer) schrieben und genau wissen, wie man spannende Krimis und Vergangenheitsbewältigung erzählt: Senad Halilbasic steuerte schon Geschichten zum Serienhit Der Pass bei, Erol Yesilkaya schrieb Tatort-Highlights wie den Berliner Zwiebelkrimi Meta, das grandiose Wiesbadener Krimidrama Es lebe der Tod oder den packenden Dresdner Psychothriller Das Nest.
Im 1309. Tatort geht die Rechnung auf ganzer Linie auf: Momente im Privatleben oder in der Mittagspause sind wohldosiert und bringen den intensiven Kriminalfall nie aus dem Tritt. Vielmehr reichern sie ihn an: Kulina ist selbst Hinterbliebener, verlor ja seinen Bruder – und auch sonst rücken die Filmschaffenden in diesem Krimi nicht wie üblich den zu suchenden Täter in den Mittelpunkt, sondern die Angehörigen der Opfer. Ähnlich wie im Franken-Tatort Warum führen die Ermittler lange Gespräche mit Betroffenen und Trauernden, deren Wunden sie wieder aufreißen. Wenn der unter Schlafmangel leidende Kulina einen völlig aufgelösten Vater beherzt in den Arm nimmt, sind das ergreifende Momente, die wohl niemanden kalt lassen.
Der wieder aufgerollte Cold Case selbst, der auf den realen Verbrechen von Manfred S. basiert, überzeugt ebenfalls: Azadi und Kulina untersuchen die Taten des „Main-Ripper“, der offenbar jahrzehntelang in Mainhattan gewütet hat und erst nach seinem Ableben als Täter identifiziert wurde, weil seine geschockte Tochter Michaela Zeller (stark: Anna Drexler, Masken) in der Garage ihres verstorbenen Vaters Leichenteile gefunden hat. Vorangetrieben wird der Tatort – der Mörder steht ja schon fest – dabei noch von zwei Fragen: Wie viele Opfer gehen wirklich auf das Konto des nie gefassten Rippers? Und gab es womöglich einen Mittäter?
Das Sichten von Akten zur Rekonstruktion alter Fälle ist filmisch schwer in Spannung umzumünzen, wird in Dunkelheit aber mitreißend arrangiert: Kurze Rückblicke, etwa in die Zeit des Sommermärchens, füllen Protokolle mit Leben, ein verräterisches Husten erinnert an den Münchner Hochkaräter Der tiefe Schlaf. Durch beklemmende Schilderungen der Angehörigen braucht es oft keine zusätzlichen Bilder, um Tragödien wiederauferstehen zu lassen. Als sich erste Längen einschleichen, schaltet das Drehbuch im Schlussdrittel einen Gang hoch: Es folgt ein packendes Finale, in dem ein mutmaßlicher Trittbrettfahrer allerdings etwas oberflächlich beleuchtet wird. Hier hätte mehr Licht gut getan, so dass trotz des starken Einstands im nächsten Frankfurter Tatort Licht noch minimal Luft nach oben bleibt.
Bewertung: 8/10
Drehspiegel: So geht es im Tatort aus Frankfurt weiter
Ausblick: Dieser Krimi kommt am nächsten Sonntag
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