Folge 1316
30. November 2025
Sender: HR
Regie: Rick Ostermann
Drehbuch: Senad Halibasic
So war der Tatort:
Gleißend hell – und gleichzeitig düster.
Der zweite Fall des Frankfurter Cold-Case-Duos Maryam Azadi (Melika Foroutan) und Hamza Kulina (Edin Hasanovic), das seine Spurensuche erneut im Keller der Abteilung „Altfälle“ startet, spielt nämlich wie kaum eine zweite Ausgabe der Krimireihe mit dem für die Folge titelgebenden Licht und der für den Vorgänger titelgebenden Dunkelheit: Im ständigen Wechselspiel aus Helligkeit und Finsternis tasten sich die aus dem Iran stammende Azadi und der gebürtige Bosnier Kulina in dunkle Krematorien vor, stürmen sonnengeflutete Höfe und wälzen Fotos und Akten, die im seelenlosen Glanz der Neonröhren erstrahlen.
Im sonnigen Frühjahr gedreht, nimmt uns der zuvor sechsmal als Regieassistent für den Tatort aktive Filmemacher Rick Ostermann (Schwindelfrei) bei seiner ersten eigenen Inszenierung mit auf eine emotionale (Zeit-)Reise: Wir lernen eine Mutter kennen, die vor sechs Jahren ihren Partner und ihr geliebtes Kind als vermisst gemeldet hat und nicht wahrhaben will, dass beide nicht mehr unter uns weilen. Anna Reiter (Maren Eggert, mimte von 2003 bis 2009 die Polizeipsychologin Frieda Jung im Tatort aus Kiel) bestreitet vehement, dass ihr damaliger Lebensgefährte Julian Ivanez (Christoph Pütthoff, Erbarmen. Zu spät.) durch einen erweiterten Suizid auch die gemeinsame Tochter Viktoria (Rosa Wirtz) aus dem Leben gerissen hat.
Tatsächlich gibt es Zweifel an dieser wackeligen Theorie, da die Leichen der beiden nie gefunden wurden: Grund genug für die früher für die Vermisstenstelle tätige Azadi, die noch immer in Kontakt zu Reiter steht, der Sache nach einer neuen Spur auf den Grund zu gehen und Kulina in ihre Pläne einzuweihen. Als der obdachlose Otto Gerald Buchmann (Meinhard Neumann), der Reiter neue Hinweise auf Viktorias Verbleib geben konnte, kurz darauf tot aufgefunden wird, wird aus dem Cold Case vorübergehend ein Whodunit: Den 1316. Tatort treibt eine Zeit lang nicht mehr nur die Frage nach dem Verbleib des Kindes, sondern auch die Frage nach der Identität von Buchmanns Mörder voran.
Und das mit höherem Tempo als der vom TV-Publikum förmlich gefeierte Vorgänger Dunkelheit, der sich minutenlange Dialogszenen im Keller gestattete und über weite Strecken auf ein gemächlicheres Arrangement setzte: Spätestens mit dem Stürmen des einleitend erwähnten Domizils der sektenähnlichen Gruppierung namens „Licht der Welt“, in dem zahlreiche Spiegel den Innenhof schmücken und die Medikamente ablehnende Glaubensgemeinschaft mit vermeintlich ausreichender Lebensenergie vorsorgen, nimmt das Thrillerdrama Fahrt auf und geht bis zum Schluss nicht mehr vom Gaspedal. Was ist auf dem Hof Tragisches geschehen – und welche Rolle spielten dabei Viktoria und ihr Erzeuger?
Das Drehbuch aus der Feder von Senad Halibasic, der auch an Dunkelheit mitschrieb, hält diese Frage bis zu einem klugen Twist auf der Zielgeraden offen und ist auf dem kurzweiligen Weg dorthin mit vielen Horror- und Mystery-Anleihen gespickt. Rätselhafte Zeichnungen an den Wänden und seltsam verschlossene Kinder, die schon mal wie von Zauberhand plötzlich aus dem Blickfeld verschwinden, kennen wir aus den genannten Genres gut und sie verfehlen ihre atmosphärische Wirkung auch in diesem Tatort nicht. Ein wenig mehr Eigenständigkeit hätte Licht gut zu Gesicht gestanden, aber langweilig ist der Film zu keinem Zeitpunkt.
Zumal er mitreißend arrangiert ist: Neben dem erwähnten Wechselspiel aus Licht und Schatten erwachen etwa mögliche Tathergänge von vor sechs Jahren in physischer Anwesenheit des Cold-Case-Duos wieder zum Leben; das haucht dem abgekühlten Altfall neue Dramatik ein und umschifft die Gefahr von zäher Aufarbeitungsroutine elegant. Seinen ersten Siedepunkt erreicht der Film nach einer knappen Stunde und mündet schließlich in ein bedrückendes Finale, das niemanden glücklich macht. Vielleicht ist es dadurch sogar glaubwürdiger als jedes Happy End. Heile Welt ist nicht das, was das neue Frankfurter Duo erzählen will.
Auch auf der Horizontalen entwickelt sich der Tatort vom Main wohldosiert weiter: Wurde in Dunkelheit noch das Privatleben von Hamza Kulina beleuchtet, spielt es diesmal keine Rolle – dafür muss sich der strafversetzte Polizist vor der internen Ermittlung verantworten, die ihm Fehlverhalten bei einem Einsatz mit seinem lebensgefährlich verletzten Kollegen unterstellen. Maryam Azadi telefoniert derweil mit ihrem Sohn Kian, bleibt ansonsten aber die größere Unbekannte im Ermittlerduo, das diesmal nur kurz auf seine strenge Vorgesetzte Sandra Schatz (Judith Engel) trifft und vor allem zu Beginn von der neuen Rechtsmedizinerin Lange (Mieke Schymura, Rettung so nah) unterstützt wird.
Bewertung: 7/10
Drehspiegel: So geht es im Frankfurter Tatort weiter
Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag
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