Doch was geschieht dann? So stark, wie die 1175. Tatort-Folge beginnt, so stark lässt sie schnell wieder nach – und der mit erfreulich vielen unverbrauchten Krimi-Gesichtern besetzte Film stürzt in ein Spannungsloch, aus dem er sich bis zum Finale nur noch selten befreit. Das hat mehrere Gründe – zuallererst den, dass das Privatleben der alleinerziehenden Berlinger den Kriminalfall kolossal ausbremst und in einer Ausführlichkeit illustriert wird, die in der Krimireihe ihresgleichen sucht.
Schon am ersten Abend sitzt David Murphy (Alan Burgon), der aus Liverpool stammende Vater ihrer kleinen Tochter Greta (Elin Knipchild), in Berlingers Wohnzimmer – es folgen zähe, mit deutschen Untertiteln versehene Gute-Mutter-schlechte-Mutter-Debatten, die irgendwann darin münden, dass Murphy seine Tochter mit nach England nehmen will. Auch weil die bisherigen Tatort-Begegnungen mit Ellen Berlinger von 2016 (
Fünf Minuten Himmel) und 2018 (
Zeit der Frösche) datieren, lassen uns diese Gespräche aber kalt, weil uns die Kommissarin als Figur (noch) erschreckend egal ist – stattdessen werden Erinnerungen an die vielen zähen Tatort-Momente mit Charlotte Lindholm und ihrem Sohn David in Hannover wach.
Dann ist da die Täterfrage, die in Blind Date sehr früh beantwortet wird: Bei den gesuchten Raubmördern handelt es sich um die exzentrischen, in einer offenen Beziehung lebenden Rich Kids Sophie Hansen (Anica Happich) und Moritz Boldt (Jan Bülow), die die Tankstelle aus Langeweile und auf der Suche nach Nervenkitzel überfallen haben – und die als verwöhnte Bonny-und-Clyde-Abwandlung stellenweise so überzeichnet agieren, dass sich die Balken biegen.
Fiebrige Howcatchem-Momente (wie etwa eine schöne Parallelmontage beim Verhör) lassen sich an einer Hand abzählen, stattdessen verheddern sich die Filmemacher nach der ersten Begegnung von Täterin und Augenzeugin – eine erotisch angehauchte, fast magische Szene – in einer bisexuellen, mit anstrengender Vulgärsprache und nackter Haut gespickten Liebesgeschichte, die zwar erfolgreich mit den dramaturgischen Konventionen der Krimireihe bricht und uns viel über Rosas Sehnsüchte verrät, aber nie den Thrill und die Faszination entwickelt, wie es etwa die elektrisierende Begegnung von Kult-Killer Kai Korthals (Lars Eidinger) und seiner ebenfalls blinden Verehrerin im überragenden Vor-Vorgänger
Borowski und der gute Mensch tat.
Last but not least leidet der Tatort auch darunter, dass es oft seltsam aufgesetzt zugeht und es keine einzige wirklich sympathische Figur gibt: Berlingers zugeknöpfter Kollege Rascher, der im Gegensatz zu ihr praktisch nichts von seinem Feierabend preisgibt, gibt den unangenehmen Zeitgenossen und bezeichnet sich selbst als Arschloch – wir finden wenig Gründe zu widersprechen. Auch Rosas Eltern Klaus
(Rainer Furch,
Böser Boden) und Maria Münch
(Andrea Quirbach) dürfen keine Sympathiepunkte sammeln – ganz im Gegenteil. Rosa hingegen verspielt die anfängliche Gunst des Publikums nach einer Kurzschlussreaktion gegenüber ihrem Vater.
So verpufft das emotionale, seltsam hölzern arrangierte Finale, das noch einmal den Bogen zur so gelungenen Eröffnungssequenz in der Tankstelle schlägt, ohne die erhoffte Nachwirkung – und Ellen Berlinger (die Haftbefehl übrigens Bushido vorzieht) ist auch nach ihrem dritten Tatort noch immer nicht ganz in der Krimireihe angekommen.
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