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Zerrissen

Folge: 1258 | 21. Januar 2024 | Sender: SWR | Regie: Martin Eigler

Bild: SWR/BenoĂźt Linder
So war der Tatort:
VerschwÀgert.
Denn in diesem Tatort dreht sich alles um zwei kriminelle und miteinander verschwĂ€gerte Familien, bei denen man erst einmal den Überblick behalten muss – BrĂŒder, Schwestern, Cousinen, Cousins, ein Vater, eine Großmutter, ihr Enkel. Viel zu sortieren fĂŒr die Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy MĂŒller) und Sebastian Bootz (Felix Klare), die erneut von Rechtsmediziner Dr. Daniel Vogt (JĂŒrgen Hartmann) unterstĂŒtzt werden – doch wirken dessen Einlassungen diesmal seltsam gekĂŒnstelt. Der Vertrauensbruch aus dem vielgelobten VorgĂ€nger Vergebung, der einen nostalgischen Bogen in die 80er schlug und fast tödlich endete, spielt in Zerrissen indes keine Rolle mehr.
So ist das meistens im Tatort, der diesmal actionreich beginnt und bei der TV-Premiere im Januar 2024 zunĂ€chst eine Tonspur vermissen ließ: Wir werden Zeuge, wie drei maskierte Unbekannte den Juwelier Eugen Hager (Jevgenij Sitochin, Azra) ĂŒberfallen, wĂ€hrend ein nervöser Teenager Schmiere steht und zu spĂ€t bemerkt, dass er vor der TĂŒr vom Drogendealer Rachid Benani (Thapelo Mashiane) beobachtet wird. Als die Kommissare, die in diesem Film oft nur die zweite Geige spielen, am verwĂŒsteten Tatort eintreffen, sind die Kriminellen getĂŒrmt, der Juwelier schwer verĂ€ngstigt und eine aufmĂŒpfige Kundin mausetot. Genauer gesagt: erstickt, weil man ihren Kopf mit dem Knie auf den Boden gepresst und ihr Mund und Nase zugehalten hat. Raubmord.
Aus der TĂ€terfrage macht Regisseur Martin Eigler, der wie schon bei den Stuttgarter Folgen Freigang und Der Mann, der lĂŒgt gemeinsam mit Sönke Lars Neuwöhner auch das Drehbuch zum Film schrieb, kein Geheimnis. Bei den Maskierten handelt es sich um Julia Ellinger (Caroline Hellwig) und ihre zwei Cousins, die BrĂŒder Alan (Nils Hohenhövel, Des anderen Last) und Mikel Maslov (Oleg Tikhomirov, dritter Tatort-Auftritt binnen acht Wochen nach Pyramide und Borowski und das unschuldige Kind von Wacken). Schmiere steht Julias kleiner Bruder David (Louis Guillaume), der auf einem Jugendhof lebt und Lannert bei der ersten Begegnung seinen kultigen braunen Porsche madig macht, obwohl er ihn insgeheim fahren will.

DAVID:
Mit der Schrottkarre? Damit fahren jetzt die Bullen?

LANNERT:

Nein, nur ich.


FĂŒr den Drive der Handlung ist weder die folgende Spritztour in Lannerts Dienstwagen, noch die frĂŒhe Fast-Auflösung der TĂ€terfrage eine Vollbremsung, denn der 1258. Tatort ist weniger als kniffliger Whodunit, sondern als emotionales Jugenddrama angelegt. Es illustriert die innere und titelgebende Zerrissenheit des minderjĂ€hrigen MittĂ€ters: Soll David das tun, was seine kriminellen Cousins von ihm verlangen? Und irgendwann im Knast landen wie sein aufbrausender Vater Gerhard Ellinger (Urs Rechn, Freischwimmer)? Oder soll er auf seine coole Betreuerin Annarosa „Aro“ Neuffer (Caroline Cousin, Das geheime Leben unserer Kinder) hören, die den heimlich in sie verliebten Jungen vor den schlechten EinflĂŒssen seiner Sippschaft beschĂŒtzt und selbst kein Kind von Traurigkeit ist?
Diesen Fragen muss sich David stellen – aber wirklich mitreißend gestaltet sich das tragische Schicksal des Teenagers nicht immer. Vielleicht sind es unterm Strich ein paar Figuren zu viel in diesem Film, denn neben seiner Großmutter Maria Ellinger (Maria MĂ€gdefrau, Unter Kriegern) gibt es da auch noch Davids wasserstoffblonden Bruder Theo (Levin Rashid Stein), der bei einem Autounfall ums Leben kam und seinem jĂŒngeren Bruder gelegentlich als Geist (!) erscheint. Man dichtet Theo posthum sogar eine heimliche Kontaktaufnahme zur Kripo an. Alles ein wenig ĂŒberkonstruiert, alles ein wenig seltsam – und irgendwie unnötig.
Die spannendste Figur in diesem dennoch kurzweiligen Tatort ist ohnehin eine andere: Die systemkritische Betreuerin „Aro“, charismatisch verkörpert von Caro Cousin, bietet Davids kriminellen Cousins unter Einsatz ihres Lebens die Stirn. Die tapfere Kickboxerin hat das Herz am rechten Fleck, ist dabei aber keine glatte und tadellose PĂ€dagogin, die ohne Umschweife mit Lannert und Bootz kooperiert. Ihr Engagement dient nur David. Auch Jungschauspieler Louis Guillaume schlĂ€gt sich in seiner Episodenhauptrolle beachtlich – gerade im Vergleich zu seinen gleichaltrigen (und von der KostĂŒmabteilung im Stich gelassenen) Kollegen im Odenthal-Tatort Avatar, der zwei Wochen zuvor auf Sendung ging.
In den entscheidenden Momenten gehen die Filmemacher aber vom Gas: Als sich der strafunmĂŒndige David entscheiden muss, ob er mit der Waffe in der Hand zum Mörder werden will, mĂŒndet das Ganze in einen Kompromiss ohne bittere Konsequenzen. Und auf der Zielgeraden fehlt der Mut fĂŒr ein offene(re)s Ende: HĂ€tte der Abspann 30 Sekunden frĂŒher eingesetzt, wĂ€re der Nachhall des Films deutlich lauter ausgefallen. So steht unterm Strich ein sehr sehenswertes, aber nicht uneingeschrĂ€nkt ĂŒberzeugendes Krimidrama mit StĂ€rken und SchwĂ€chen.
Bewertung: 6/10


👀 Ausblick: Dieser Tatort lĂ€uft am nĂ€chsten Sonntag
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Kommentare

27 Antworten zu „Zerrissen“

  1. War endlich mal wieder ein interessanter und spannender Tatort. In dieser Art darf es gerne weiter gehen.

  2. Sehr vorhersehbar,nichts war ĂŒberraschend bzw spannend…ne das war kein Krimi sondern ein Drama

  3. Mich hat vor allem die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller beeindruckt. Endlich mal ohne Klamauk und ĂŒberflĂŒssigen Nebenhandlungen. Geht also doch einen Tatort ohne Blödsinn zu produzieren.

  4. Ich fand das offene Ende perfekt inszeniert, vor allem die Wunschvorstellung, mit dem Porsche davon zu fahren. Man wĂŒnscht den beiden nur das Beste, tolle Chemie!

  5. Kann mich dem nur anschließen.
    Super Tatort, spannend bis zum Schluß – endlich mal wieder.

  6. Scahde, dass der Tatort hier nur 6/10 Punkten erreichen konnte. Meiner Meinung nach einer der Besten Tatorte seit Langem!

  7. Lambert und Bootz immer ein tolles Team. Wunderbar, spannend endlich mal wieder ein Tatort, nach dem ganzen Mist der gedreht wurde.

  8. Mir hat der Tatort gefallen, stimmige und spannende Handlung. Einer der besten Tatorte der letzten Zeit. Geht doch – weiter so.

  9. Stummfilm keine Kommentar der ARD, Polizisten ohne Eigensicherung und die Helden ganz vorne dabei, mit einer Handyortung hĂ€tte man nicht so lange nach den Jungs suchen mĂŒssen, und welcher Dienstherr lĂ€sst seine Leute mit nen Oldtimer die Herzen der Versicherung höher schlagen?

  10. Erst ohne Ton, war schon merkwĂŒrdig, dachte schon ist mein Fernseher defekt oder die Fernbedienung, dadurch schlechter anfang und die Stimmung ging nach unten , habe dann umgeschaltet und auf den rest verzichtet

  11. moin, technische Anfangspanne die passieren kann. TatsÀchlich war der Tatort richtig gut und spannend gespielt.

  12. Avatar von Der blanke Hans
    Der blanke Hans

    Ja, Tatort war nicht schlecht – es war ein "Fall", Stuttgarter Team wirklich weiterhin gut… Habe eine Wette mit meiner Frau verloren: Tatort OHNE Ton am Anfang war fĂŒr mich erst wieder "ein Experiment" – sie hatte recht, die Technik. Aber DAMALS hat man es anders gelöst: Film angehalten, Schild rein "Entschuldigung-Störung, geht gleich weiter.." wenn so oft neuerdings Talkshows u.v.a. immer ĂŒberziehen könnte es der Tatort doch auch…. stattdessen weiterlaufen, damit "hinten" bloss kein Verzug entsteht…. 6 von 10 sind aber ok

  13. Hauptsache Hintergrundton und Musik hat geklappt. Sind wir von Tatort gewohnt, weil man genuschelte Dialoge eh nicht versteht.

  14. Der Tatort war echt gut. Spannend bis zum Schluß. HĂ€tte mindestens Note 8 verdient, aber irgendwelche dramaturgischen GrĂŒnde (welche das Publikum nicht interessieren) haben das bei den Kritikern wohl verhindert.
    Der anfÀnglich fehlende Ton hÀtte durchaus wieder ein neues ARD-Experiment sein können, aber es war wohl schlicht nur UnfÀhigkeit.

  15. Super ??

  16. Ein super guter Tatort

  17. FĂŒr die ersten sprachlosen Minuten wĂ€re eine Entschuldigung der ARD fĂ€llig gewesen! Tatort nicht schlecht.

    1. Nicht nur das, er hĂ€tte neu gestartet werden mĂŒssen. Wer ist man denn, dass man sich das bieten lassen muß?

  18. Sehenswert und spannend. Beste Darsteller vor allem David und auch Aro. Stuttgarter Ermittler-Team gehört fĂŒr mich mit zu den besten.

  19. So, was war das denn: Kein schlechter Ton – dafĂŒr nur Hintergrundton und keine Dialoge. WofĂŒr zahlen wir soviel Geld fĂŒr soviel StĂŒmperei. Einmal mit Profi‘s!

    1. Warum so böse, technische Fehler können passieren

    2. HĂ€h? Also ist es jetzt schlimm, dass technische Fehler passieren oder nicht? Entscheiden Sie sich mal!

  20. Die ersten 10 Minuten als Stummfilm – kein neues Konzept, sondern einfach nur eine Panne. Da man ja bei Tatorten diverse Experimente gewohnt ist, ist es nicht gleich aufgefallen. Ärgerlich, da man dadurch am Anfang gleich abgehĂ€ngt wurde.

  21. Ein bemerkenswerter Tatort! Spannend bis zum Schluss!
    So darf es gerne weitergehen…, wobei die Stuttgarter Tatorte fĂŒr mich immer schon zu den besten gehörten!

  22. Avatar von Macadoli

    Am Anfang hat ton gefehlt! Der tatort war richtig gut. Spannend und hervorragend gespielt! Dickes Lob!

    1. Avatar von Angelika

      Da bin ich ganz bei dir ?

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