Bis zum persönlichen Aufeinandertreffen von Karow und Bonard vergeht eine Dreiviertelstunde. Die Drehbuchautoren Stefan Kolditz (
Dunkelfeld) und Katja Wenzel nehmen sich nach dem etwas unübersichtlich arrangierten Auftakt viel Zeit, um die Kriminalistin beim Publikum einzuführen. So lernen wir nicht nur Bonards Sohn Tom (Ivo Kortlang), sondern auch ihren Gatten Kaya Kaymaz (Ercan Karaçayli,
Macht der Familie) kennen. Er ist Richter. Eine deutsche Frau um die 70, glücklich verheiratet mit einem jüngeren Juristen mit Migrationshintergrund – das ist herrlich gegen die TV-Konventionen konzipiert und tut der Krimireihe, in der so viele einsame Wölfinnen und Wölfe unterwegs sind, unheimlich gut.
Nicht nur beim ersten Aufeinandertreffen von Bonard und ihrem Ehemann klingt
Nicht als die Wahrheit (1) allerdings hölzern, ja stellenweise fast kitschig. Die Dialoge wirken wie aus dem Baukasten – und das ausgerechnet im Hauptstadt-Tatort, der in den Jahren zuvor mit markigen Sprüchen und grandiosen Wortwechseln überzeugte. Der Funke springt (noch) nicht über. Gerade im Vergleich zur ersten Begegnung von Karow und Rubin im Tatort
Das Muli von 2015 kann der 1231. Tatort nicht mithalten. Er fühlt sich seltsam leblos an. Auch Aslans Witze über sein Rolli-Dasein wirken bemüht.
Der Kriminalfall ist – zumindest in der ersten Hälfte des Zweiteilers – ebenfalls nur Durchschnitt.
Racial Profiling und
rechte Strukturen bei der Polizei sind aktuelle Themen, aber neue Aspekte gewinnen die Filmemacher der Sache nicht ab. Nazi-Bilder im Chat, verbale Entgleisungen und Vorgesetzte wie Götz Lennart (Thomas Niehaus) und Guido Konrad (Christoph Jöde,
Alter Ego), die weghören oder mit drinstecken: Alles so, wie man sich das vorstellt. Und entsprechend ausrechenbar. Da darf der Verfassungsschutz, der im letzten Moment reingrätscht, nicht fehlen. Erst in der Schlussminute, in der die rechtsextreme Schutzpolizistin Tina Gebhardt (Bea Brocks,
Die Zeit ist gekommen) in den Fokus rückt, vermag der Film unter Regie von Robert Thalheim zu überraschen. Es braucht schließlich einen Cliffhanger für den Ostermontag.
Andere Handlungsstränge hängen (noch) in der Luft: Die Rolle der syrischen Bauarbeiter Fawad (Aziz Dyab) und Najim Saad (Shadi Eck), die für den herrischen Bauleiter Dietrich Pätzold (Jörn Hentschel,
Abbruchkante) buckeln, bleibt nebulös, ihr Schicksal lässt uns kalt. Rührend sind da eher Karows vorsichtige Bemühungen, dem vierjährigen Matti (Yvon Moltzen) im Beisein seines Vaters Paul Kästner (Bernhard Conrad,
Der böse König) mögliche Ursachen für den (Frei-)Tod seiner Mutter zu entlocken. Unterm Strich ist das für einen alleinstehenden Film aber recht wenig – erst in
Nichts als die Wahrheit (2) kommt der Zweiteiler auf Betriebstemperatur.
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